Die Schwalben von Kabul

von Yasmina Khadra

Über

"Es genügt nicht, über etwas zu lesen, man muss es aus eigener Erfahrung kennen lernen", ist eines der sattsam bekannten Vorurteile gegen das so genannte Bücherwissen. Die Schwalben von Kabul widerlegt derartige Äußerungen grundlegend. Es gibt Welten, zu denen Menschen anderer kultureller Prägung keinen Zugang haben, weil sie sich nur von innen heraus verstehen lassen. Und eben ein solches tief greifendes Verständnis ermöglicht uns Yasmina Khadra in seinem Roman über das Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban.

Kabul ist keine Stadt mehr, sondern ein Stein gewordener Albtraum. Schreiende Kinder und jammernde Bettler prägen das Straßenbild. Atiq Shaukat fristet sein Dasein als Gefängniswärter. Sein Leben beschränkt sich auf lange Phasen des gedankenlosen Dahindämmerns, hin und wieder unterbrochen von unvorhersehbaren Augenblicken rauschhafter Gewalt. Nur selten kann er sich überwinden nach Hause zu gehen, denn dort wartet seine todkranke Frau auf ihn und lässt seinem Gewissen keine Ruhe.

Mohsen Ramat kann sich nicht einmal in die Routine regelmäßiger Arbeit flüchten. Haltlos stolpert er durch die Ruinen, den Kopf voller Erinnerungen an eine Zeit, in der er mit seiner schönen und gebildeten Frau ein Leben in Freiheit führen konnte. Zunaira wagt sich nicht mehr aus dem Haus, zu groß ist ihre Angst und ihre Scham, sich unter dem Schleier verstecken zu müssen. Als das Ehepaar doch einmal einen Spaziergang wagt, kommt es zur Katastrophe.

Die "Schwalben", das sind die furchtsam durch die Straßen hastenden Frauen Kabuls unter ihren dichten Tschadri. Religiöser Wahn hat sie in einem Maße zu Opfern männlicher Willkür gemacht, das für einen Mitteleuropäer kaum nachvollziehbar ist. Umso bestürzender ist es, Yasmina Khadra auf seinen Wegen durch das zerbombte Kabul zu folgen und zumindest eine Ahnung davon zu bekommen, wie das Leben dort aussieht -- in erster Linie für die Frauen, aber auch für Männer, die ihre Kritikfähigkeit noch nicht völlig verloren haben.

Die Schwalben von Kabul ist ein Buch, das niemand ohne tiefe Erschütterung aus der Hand legen wird. Manchmal ist Literatur eindringlicher als jeder noch so gut recherchierte Fernsehbericht. --Hannes Riffel

Mitglieder-Rezensionen Eigene Rezension schreiben

Schreibe die erste Rezension

Zum Kommentieren bitte Anmelden