Doktor Paranoiski

von Ernst Molden

Über

Prototypen des radikalen Aussteigers sind uns schon aus biblischen Zeiten bekannt: Weltflüchtige, die "in die Wüste gingen", um dort ihr einsames Dasein als Eremiten zu fristen. Doch wohin kann ein Zivilisationsmüder aus dem Wien des 21. Jahrhunderts gehen? In den Wienerwald natürlich! Nachdem der studierte Botaniker Dr. Christoph Salzer seinen Tod vorgetäuscht hat, nimmt er also einen Bus auf den Kahlenberg und taucht in den ausgedehnten Forstflächen unter, die sich entlang der Westseite der Bundeshauptstadt erstrecken. Das Überleben im Wald ist freilich kein Spaziergang. Dem Tode nahe wird Salzer schließlich von der Armee der Unsterblichen aufgelesen.

Diese im Untergrund agierende Guerillatruppe hat sich keine geringen Ziele gesteckt: "erstens die Auflösung der Staaten, zweitens die Abschaffung des Geldes, drittens die Bewaldung der Städte". Ein Kampf gegen Windmühlen, der -- wie sich bald zeigt -- mit umso verschwörerischerem Eifer gefochten wird. Streng organisiert bereitet man sich im Schutze des Waldes auf den Tag X vor. Ohne recht zu wissen, wie ihm geschieht, gerät Salzer ins Zentrum des konspirativen Treibens, wird unter seinem Kampfnamen Doktor Paranoiski zum Helden, schließlich gar zum Märtyrer der Bewegung.

Salzer misslingt sein Ausstieg aus der Gesellschaft also gründlich: Als Eremit gescheitert, wird er zum tragikomischen Revolutionär, wenn nicht gegen, so doch ohne seinen eigenen Willen. Die Armee der Unsterblichen dient als Auffangbecken für Leute wie ihn: Leidende an der Gesellschaft und ihren Zwängen. Durch gemeinsame Realitätsverweigerung entsteht eine eigene, neue Identitäten stiftende Gegenwelt, in der weder die charismatischen Führer fehlen, noch die Mystifikationen und Machtkämpfe, die für militant-missionarische Bewegungen als typisch gelten.

Als grotesk übersteigertes Gedankenexperiment kann der Roman natürlich keineswegs mit durchgängig plausibler Handlung aufwarten. Der eigentliche Lesegenuss liegt aber sowieso in der schieren Abenteuerlichkeit der Ereignisse, die Ernst Molden mit lebendiger Fantasie und sprachlich flüssig erzählt. Die Interpretation bleibt am viele Fragen aufwerfenden Ende dem Leser überlassen, womit man auch wieder im wirklichen Leben wäre. --Mathis Zojer

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