Trilogie des Erinnerns
Über
In Christian Hallers neuem Roman ist alles in unbeständiger, bedrohlicher Bewegung -- begonnen beim schwankenden Schiff des Anfangskapitels, das "Madame S." mit Mann und Kindern betritt, um Rumänien nach 20 Jahren für immer Richtung Schweiz zu verlassen. Aber auch das Heim am Hang in Bukarest "rutschte unvermeidlich", und die ersehnte glückliche Zukunft als Gattin eines Fabrikdirektors erwies sich mehr und mehr als Illusion. Nur ein paar Dinge stehen fest im Buch: Die vielen Porträts auf Gemälden, Daguerreotypien und kolorierten Fotografien, anhand derer der Enkel die nicht erlebte Vergangenheit seiner Familie und den "schwarzglänzenden Abdruck meiner Kindheit" literarisch vergegenwärtigt und wieder aufleben lässt.Archäologisch nähert sich Hallers Ich-Erzähler der eigenen Vorvergangenheit und legt in den Schichten der Familienchronik nach und nach beinahe Vergessenes frei. Um den Klängen, Gerüchen und Farben der damaligen "schwankenden Lebensumstände" seiner Vorfahren nachzuspüren und sie schriftlich zu fixieren, fährt der Held, der auch von Berufs wegen mit Ausgrabungen beschäftigt ist, zum ersten Mal nach Bukarest und versucht, in der fremd-vertrauten Stadt die Wahrheit "aus den Überschichtungen der Jahre" herauszulösen. Diese Art archäologischen Schreibens macht Die verschluckte Musik über das Schicksal einer Familie in den Wirren des 20. Jahrhunderts so faszinierend und lesenswert.
"Seine Bilder waren so präzise komponiert, daß sich bei längerer Betrachtung darin verborgene geometrische Linien zeigen, aus denen sich Rückschlüsse auf deren Entstehung ziehen lassen", notiert Hallers Erzähler einmal über die Fotografien seines Großvaters. In Die verschluckte Musik lassen sich die Kompositionslinien beim Lesen manchmal etwas allzu deutlich nachvollziehen. Ansonsten aber ist Haller ein beeindruckendes Familienporträt gelungen, das ein Licht wirft auf ein dreiviertel Jahrhundert ganz privater Zeitgeschichte. --Thomas Köster
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