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markus.fritz

Markus.fritz

Clemens Meyer schreibt zwischen einem Roman und dem anderen Erzählungen, die zum Besten gehören, was in dieser Sparte im deutschen Sprachraum erhältlich ist. Meyers Figuren bewegen sich häufig am Rand der Gesellschaft und am Rand der Städte. In der titelgebenden Geschichte betreibt der Ich-Erzähler einen Imbiss in einer aufgelassenen Tankstelle. Er wohnt in einem Hochhaus im 14. Stock. In der Nacht beobachtet er am Balkon die Lichter in den Häusern, die an- und ausgehen, die stillen Trabanten. Auf demselben Stock wohnen ein Araber und seine verschleierte Freundin. Sie ist blass und mager, aber sie übt eine gewisse Faszination auf ihn aus. Sie treffen sich im Stiegenhaus, um zu rauchen. Es ist die Geschichte einer langsamen Annäherung. Er kauft sich sogar einen Koran, um darin zu lesen und sie besser zu verstehen. Auch mit ihrem Partner freundet er sich an. Dieser nimmt ihn auch in die Moschee mit. Doch eines Tages sind die beiden verschwunden, ohne sich zu verabschieden. Auch diese Trabanten sind vorbei und weg. In der Erzählung „Die letzte Fahrt der Strandbahn“ hält sich der Ich-Erzähler im Spätsommer in einem Strandbad an der Nord- oder Ostsee auf. Er schläft wenig, in der Nacht hält er sich mit Vorliebe auf der Strandpromenade auf und beobachtet die Schiffe. Eines Abends bemerkt er auf der Bank neben sich einen alten Mann. Sie kommen ins Gespräch. Er erzählt, dass er kurz vor Ende des Krieges als 17-Jähriger Triebwagenführer wurde. Der 11-Jährige Karli war der Schaffner. In der Nähe befand sich eine Fabrik. Eines Tages kam ein junges Mädchen mit einem Treck aus dem Osten. Heute würde man sie als unbegleitete Minderjährige bezeichnen. Er verliebte sich in sie. Kurz vor Ende des Krieges wurde die Bahn angegriffen und von einer Bombe getroffen, Karli kam dabei ums Leben, das Mädchen verschwand. Er hat sie nie mehr wieder gesehen. In einer anderen Erzählung dreht ein Wachmann seine Runden um ein Ausländerwohnheim und verliebt sich in eine Frau hinter dem Zaun. Meyers Helden sind einsame Helden, Helden am Rand der Gesellschaft. Wie kein anderer vermag der Autor, sich in sie hinein zu versetzen und deren Sprache wieder zu geben.

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