Über
Kühler, ruhiger Erzählfluß. Breit angelegt. Sich Zeit nehmend. Norddeutsch unaufgeregt. Ja, sowas gibt es noch mit Arnes Nachlaß, dem neuen Roman von Siegfried Lenz. Spannende Geschichte? Ja auch, aber ist das denn so wichtig? Wem trotz all der durch die heutige Literatur marodierenden Heerscharen von Alchimisten und Hannibalisten der Begriff des schlichten Geschichtenerzählens nicht schon völlig ins Absurde gerutscht ist, der wird mit diesem Buch reich belohnt werden. Ach, Arne! Ein Aufseufzen, das sich durch das ganze Buch zieht. Lenz hat das Porträt eines Menschen geschaffen, der kaum auffiel und doch so viel bewegte. Der junge Arne Hellmer, einziger Überlebender einer Familientragödie, findet Aufnahme bei der Familie eines Ex-Kapitäns, der ein Freund seines verstorbenen Vaters war. In Hans, Sohn des Hauses und Ich-Erzähler des Romans, findet Arne einen geistigen Bruder. Zwischen den beiden entsteht eine innige Freundschaft. Dennoch vermutet Hans hinter Arnes Verstocktheit und seinem Trauma durch den schrecklichen Freitod seiner gesamten Familie, bei dem nur er durch Zufall gerettet wurde, ein weiteres, tiefgründigeres Geheimnis. Lenz verlegt den Ort der Handlung in eine Abwrackwerft im entlegensten Winkel des Hamburger Hafens. Hier webt er sein meisterhaftes Geflecht aus Fernweh und Abenteuerspielplatz, zaubert längst vergessene Seefahrtsutensilien aus seiner Sprachtruhe. Und hier in dem nächtlichen Zimmer, an dem die Ozeanriesen vorbeigleiten, lernt Hans seinen unergründlichen Freund Arne, diesen Suchenden und Verzweifelten, endlich kennen -- um ihn wieder zu verlieren. Nun gilt es, Arnes Nachlaß zu ordnen. Im Sammelsurium dieser traurigen Hinterlassenschaft findet Hans die Wahrheit über den verlorenen Freund. Ach, Arne! Wer, wenn nicht ich, soll nun deine Geschichte erzählen? --Ravi Unger --
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