Beowulf and the Critics

Essay von J. R. R. Tolkien

Über

Beowulf ist -- ähnlich dem deutschen Nibelungenlied und dem französischen Rolandslied -- das stilbildende Werk der englischen Literatur schlechthin. Dieses Epos wurde im 8. oder 9.Jahrhundert von einem gelehrten Mönch niedergeschrieben, die erzählte Handlung spielt allerdings im mittelschwedischen Gautenreich in der ersten Hälfte des 6.Jahrhunderts.

Die in einem westsächsischem Dialekt abgefassten Verse schildern das große Abenteuer des jungen Helden Beowulf, der zu Schiff aus Schweden kommt um dem Dänenkönig Hrothgar gegen das Seeungeheuer Grendel beizustehen. Er bezwingt das Untier in wildem Kampf und besiegt kurz darauf auch Grendels Mutter, die voll Schmerz und Rache die Trinkhalle des Königs heimsucht. Ein kurzes Zwischenspiel gibt über die darauf folgende 50-jährige Herrschaft von König Beowulf Rechenschaft. Am Ende seines Lebens muss er noch einmal das Schwert ergreifen und sich einem Feuer speienden Drachen entgegenstellen -- eine fürchterliche Auseinandersetzung mit legendärem Ausgang.

Mit reicher Sprache entsteht eine Zeit vor unserem inneren Auge, aus der uns nur spärliche Quellen überliefert sind. Die Triebkräfte und Gefühle der Protagonisten haben nichts von ihrer Wirkungsmächtigkeit verloren. Auch heute noch bestimmen Mut und Feigheit, Freundschaft und Falschheit das Schicksal der Menschen.

"Wer den Beowulf übersetzt, gibt gewöhnlich keine Rechtfertigungen ab", sagte J.R.R. Tolkien in seinem beigegebenen Essay. Die vorliegende Neuausgabe bietet eine -- stark gekürzte -- Prosaübersetzung von Georg Paysen Petersen aus dem Jahre 1901, der es gelingt, dem Leser über die Jahrhunderte hinweg eine Vorstellung vom Glanz des Originals zu geben. Allerdings prangt der Name J.R.R. Tolkien in etwas zu großen Buchstaben auf dem Titelbild um ja alle Fans des Herr der Ringe zum Kauf zu bewegen. Und ob Beowulf ein "Fantasy-Roman aus dem 11. Jahrhundert" ist, wie der Rückentext behauptet, ist zweifelhaft.

Außer Frage steht, dass die Erzählung selbst reizvoll und lesenswert ist, auch für Freunde zeitgenössischer Fantastik. Tolkiens Nachwort, das sprachkritisch und rezeptionsgeschichtlich die Übersetzbarkeit des Beowulf reflektiert und bereits in dem Band Die Ungeheuer und ihre Kritiker enthalten ist, dürfte eher etwas für Spezialisten sein. --Felix Darwin

Erschienen

2002

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