Das Auge von Tibet
Über
In den letzten Jahren versuchen Krimiautoren oft, ihren Mangel an Einfällen durch immer exotischere Schauplätze zu kaschieren -- kein Land der Welt, in dem nicht irgendein hinterhältiger Mord der Aufklärung harrt. Mit dem Angebot wachsen jedoch die Ansprüche der Leser, und so genügt es nun nicht mehr, angelesene Informationen aus dem Reiseführer einzustreuen, um einen erfolgreichen Grönland-, Hongkong- oder -- um zum vorliegenden Buch zu kommen -- Tibet-Krimi zu schreiben. Dessen scheint sich Eliot Pattison nur allzu bewusst zu sein, denn er hat sich erst an seinen Stoff gewagt, nachdem er selbst vor Ort Eindrücke gesammelt hat.Der Chinese Shan Tao Yan ist ein ehemaliger Regierungsbeamter, der in Ungnade gefallen ist und in ein Arbeitslager im Himalaya verschickt wurde. Am Ende des Romans Der fremde Tibeter sucht Shan Zuflucht in einem geheimen Kloster. Nun bittet ihn Gundun, der dienstälteste Lama, um Hilfe: Weit im Norden ist eine Lehrerin namens Lau getötet worden und ein Lama wird vermisst. Shan versteht nicht sofort, warum dies die Mönche so beunruhigt. Doch er zögert nicht, seinen verehrten Lehrer auf die lange Reise nach Xinjiang zu begleiten. Sie entdecken, dass Lau eine Anlaufstelle für Waisenkinder der ganzen Region unterhalten hat. Auf Shan wartet die schwierige Aufgabe herauszufinden, ob die Funktionäre der Volksbrigaden oder die gefürchtete Geheimpolizei an den subversiven Aktivitäten der Lehrerin Anstoß genommen haben. Oder gibt es noch eine andere Gruppe, die am Tod der Kinder interessiert ist?
Für seinen ersten Krimi um den chinesischen Ermittler Shan wurde Eliot Pattison mit dem renommierten Edgar ausgezeichnet. Auch in seinem zweiten Roman gelingt es ihm, eine ungemein fesselnde Abenteuergeschichte vor einem überzeugenden gesellschaftlichen Hintergrund zu erzählen. Die Weite des Landes und den Wechsel von der Berg- zur Wüstenlandschaft schildert er mit Sprachgewalt und viel Einfühlungsvermögen. Eine Einschränkung scheint allerdings angebracht: Pattison kritisiert überzeugend die chinesische Gewaltherrschaft in Tibet, doch bei seiner Darstellung tibetanischer Mönche als Krone der Schöpfung trägt er mitunter etwas zu dick auf. Das sollte jedoch niemand davon abhalten, einen Roman zu lesen, der mit so viel Leidenschaft für sein Thema geschrieben ist. --Felix Darwin
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