Das mechanische Klavier (Manhattan)

von William Gaddis

Über

In einem einsamen Krankenzimmer eines Hospitals liegt ein alter Mann, ein kranker Schriftsteller, und wartet auf den Tod. Dass er sterben wird, weiß er, doch wann, das weiß er nicht. Um ihn herum stapeln sich zahllose Aktenordner voller Papiere, Dokumente, Aufzeichnungen, Entwürfe, und Notizen; das schier erdrückende Ergebnis Jahrzehnte langer Sammelwut und akribischer Recherche über den Aufstieg der Populärkultur und den Niedergang der hohen Kunst seit Ende des 19. Jahrhunderts. Ein unabgeschlossenes Lebenswerk, das der Künstler, den Tod vor Augen, in seinem, im wahrsten Sinne des Wortes atemlosem Monolog verzweifelt zu ordnen versucht: "Ordnung ist jetzt ganz entscheidend. Hilft außerdem Stress zu vermeiden, ich kriege schon kaum noch Luft, alles der Stress."

Im Mittelpunkt der bitteren und zugleich ironischen Abrechnung mit dem modernen Kulturbetrieb steht das mechanische Klavier: Jene Erfindung, mit der die Misere der Kunst anfing, weil es die Illusion vermittelte, jeder könne ein Künstler sein und zugleich, keiner bräuchte mehr einer zu sein, weil ja die mit Lochstreifen bespielten Maschinen viel genauer, schneller und zuverlässiger der breiten Masse Vergnügen bereiten konnten. Den Siegeszug der programmierten Kunst als Unterhaltung der breiten Masse setzt sich nach dem Untergang des mechanischen Klaviers mit Fernsehen und digitalen Medien fort. Am Ende steht eine Kultur der Kopie, die selbst im Menschen nur noch genetisches Material zum Klonen optimierter Körper sieht.

Das mechanische Klavier ist der letzte Roman des amerikanischen Schriftstellers William Gaddis, der noch vor der Veröffentlichung 1998 verstarb. Obwohl Gaddis zwischen 1955 und 1994 nur vier Romane publizierte, gelten Die Fälschung der Welt, JR, Die Erlöser und Letzte Instanz nicht nur in den USA als Schlüsselwerke der zeitgenössischen Literatur. Gaddis fand erst spät ein breiteres Publikum, was sicher auch an einem charakteristischen Stilelement seiner Erzählweise liegt, der minutiösen Darstellung gesprochener Sprache in endlos ineinander verschachtelten Dialogen und Monologen.

Das gilt auch für Das mechanische Klavier, das jedoch mit knapp 100 Seiten eher ein kurzes Werk darstellt, was den Zugang erheblich erleichtert. Und in der Tat bereitet diese zwischen Thomas Bernhard und Samuel Beckett angelegte Tirade auf den modernen Kunstbetrieb nicht nur erhebliches Vergnügen, sondern erweist sich am Ende trotz ihrer Kürze als eine beeindruckende Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit des Lebens und der Kunst. --Peter Schneck

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