Junges Licht
Über
Wie junges Licht muten sie an, die glitzernden Salzkristalle, die ihm im Schein seiner Grubenlampe im Bergwerksstollen entgegenleuchten. Die ständige Schicht in ewiger Lichtlosigkeit hat dem Vater allmählich die Sinne betäubt. Sein Sohn, der 12-jährige Julian, ist zuhause unterdes von den erotischen Lockungen des Nachbarmädchens Marusha, einer Art Ruhrpott-Lolita, mehr irritiert denn angefacht. Als schließlich die Mutter allein mit Julians kleiner Schwester in die Sommerfrische fährt, brechen sich lang verschüttete Gefühle unheilvolle Bahn. Am Ende der erotisch aufgeladenen Geschichte wird eine Lampe erloschen sein – und das Licht am Ende des Tunnels der Kindheit wird erheblich an Glanz eingebüßt haben.Mit jedem Buch ist Ralf Rothmanns Ruf als Poet unter den Schreibern gewachsen. Immer wieder diente ihm dabei das Ruhrgebiet als ruß– und seelengeschwängerte Dramenbühne. Schwitzige Maloche, unausgelebte Träume, ungelebtes Leben, quälende Sehnsucht. Auch in seiner neuesten Erzählung, angesiedelt in den dumpfigen 60er-Jahren, muss das Revier als Folie eines Familiendramas im Kleinformat herhalten. Um sein feinfühlig und souverän dahinfließendes, aber etwas handlungsarmes Soziodrama anzureichern, setzt Rothmann auf den geballten Einsatz pittoresker Accessoires der Sechziger. Vom „Loewe Opta“ bis zur „Constructa“, in der natürlich die damals stets grauen und ausgeleierten Feinrippunterhosen rotieren – an gängigen Markenartikeln der Epoche herrscht wahrhaftig kein Mangel.
Was Julian auf seiner nächtlichen Pirsch um die Nachbarwohnung an Lauten zu hören bekommt, gleicht einem rätselhaften und kaum entschlüsselbaren Code. Zu allem Überdruss muss der irrlichternde Junge feststellen, dass Marushas Stiefvater Gefallen an ihm gefunden hat und ihm merkwürdige Avancen macht. Völlig ahnungslos den sexuellen Duftmarken Marushas folgend, stellt Julian schließlich schockiert fest, dass in der Rangordnung der Frühreifen jemand gänzlich anderes den Vorzug erhalten hat. Das Ende eines Sommers und einer unbeschwerten Kindheit scheint vorprogrammiert. –Ravi Unger
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